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Raketenhund
Walking On Zahnfleisch

Label: Plastic Bomb

Die Braunschweiger Knallheartcore-Punkband Der Raketenhund hat endlich ihr von mir lang ersehntes zweites Album aufgenommen. Es erscheint auf CD und LP (transparentblaues Vinyl!) auf Plastic Bomb Records und Omnidor. Um es vorweg zu nehmen: Wer das Debütalbum "Raus aus Gartenstadt" (2003) oder die Liveauftritte von Der Raketenhund mochte, kann sich in diesem Herbst richtig freuen. Denn "Walking on Zahnfleisch..." schafft es, sowohl musikalisch, als auch textlich seinen großartigen wilden und ungestümen Vorgänger noch in den Schatten zu stellen. Wem die Band bis jetzt unbekannt geblieben ist, der sollte nun aber wirklich ein bis zwei Ohren riskieren... Musikalische Referenzen zu nennen fällt schwerer als beim ersten Raketenhund-Album. Konnte man die Band damals noch irgendwo zwischen Boxhamsters und Turbostaat verorten, trifft diese Einordnung bei "Walking on Zahnfleisch..." nicht mehr wirklich. Der Raketenhund entwickeln ihren Stil konsequent weiter, deutlich wiedererkennbare Markenzeichen wie das schnelle treibende Schlagzeugspiel, die drückenden Gitarren und natürlich die charismatische Stimme bleiben erhalten, klingen aber wesentlich druckvoller, treibender und zugleich melodiöser als auf dem Vorgänger. Was nicht zuletzt an der Produktionsweise des Albums liegen dürfte: Die Band begab sich erstmals ins (berliner Radiobuellebrueck-)Studio und spielte dort alle Lieder live ein, was der Platte eine ungeheure Dynamik verleiht. Dies wird durch Tempowechsel und deutlich ausgespielte Laut-Leise-Kontraste verstärkt. Die Aufnahmeleitung hatte Tobias Siebert (von Delbo/Klez_E), der bereits für die Raketenhund-Verwandten Tchi und Die Grätenkinder gearbeitet hat. Textlich ist "Walking on Zahnfleisch..." höchst politisch, ohne allerdings je den Zeigefinger zu erheben. Dieser wird stattdessen in nahezu alle Wunden gelegt, die es zu benennen gilt: Der unerträgliche Alltagsnationalismus (z.B. "Vörsicht Kötbömbe" und "Von Wegen"), der neoliberale Arbeits-, Konsum- und Leistungswahn (z.B. Listen to your heart, Kalle, und Captain Ketchi) und schließlich einfach dieses unangenehme Gefühl zwischen lauter Menschen leben zu müssen, die nicht so sind, wie man es sich aussuchen würde, wenn man könnte (z.B. "Cocooning" und "Würstchen im Schlafrock") sind die wesentlichen Angriffspunkte des Albums. Dabei läuft "Walking on Zahnfleisch..." in keiner Sekunde Gefahr, in stumpf-grollende Parolen zu verfallen. Stattdessen wird der Stein des Anstoßes aus einer persönlichen Perspektive entlarvt und damit geradezu bloßgestellt. In welche Richtung ein anderer Weg gehen könnte, deutet vielleicht schon das liebevoll gestaltete Äußere des Albums an: Das Glück liegt im Kleinen, Selbstgemachten, das die Stammzelle für etwas sein sollte, das "wirklich gut" und nicht nur "besser als" ist. Trotzdem bleibt selbst in kurzen positiven Momenten stets das Große da draußen präsent und die Tatsache, "dass das alles hier nur ein Ausschnitt ist, weil niemals wirklich alles passt, und irgendwas ist immer" (Hannover Ost). Doch "Walking on Zahnfleisch..." ist kein jammerndes Klagen. Der Raketenhund haben mit ihrem neuen Album vielmehr einen aufwühlenden Soundtrack für diese Zeit geschrieben. "Walking on Zahnfleisch" verleiht den Gedanken derjenigen Ausdruck, die sich noch welche machen. (Christian Günther)
 
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